Der kleine Ort Cesky Krumlov
wunderschön an der Moldau gelegen, wurde zu Kaiser Franz-Josephs seligen Zeiten
Krumau genannt und gehörte jahrhundertelang zum Habsburgerreich. Eine riesige,
beeindruckende Burg thront über der Stadt, ein uneinnehmbares Bollwerk,
jedenfalls solange es noch keine Atomraketen gab. Die Stadt liegt in einer
Moldauschleife. Malerische Häuser, viele mit Graffito verziert, säumen die
Gassen (Graffito ist nicht zu verwechseln mit Graffiti, allerdings werden in
beiden Fällen Häuser bemalt). Gelegentlich streckt eine Kirche ihren Kirchturm
aus dem beschaulichen Örtchen heraus und markiert die katholische
Vergangenheit. Das Pflaster der Straßen lässt die wenigen vorbeifahrenden Autos
fast so klingen, als käme eine Kutsche.
Krumau erlebte 1911 seinen größten
Skandal, als der geniale Maler Egon Schiele sich hier für kurze Zeit niederließ
und unter anderem Aktbilder von jungen Mädchen malte. Außerdem lebte er in
wilder Ehe mit einer Frau. Eine wilde Ehe würde heute selbst AfD Abgeordnete
nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken, die Bilder mit den sehr jungen, sehr
lasziven Mädchen würden heute jedoch für einen noch größeren Skandal sorgen als
damals. Ob diese Bilder noch irgendwo ausgestellt werden? Ich habe Zweifel und
hoffe, dass sie in den Giftschränken der Museumsdepots sicher verwahrt sind.
Wegen des Skandals jedenfalls
flüchtet Schiele nach kurzer Zeit in Richtung Wien, hinterließ aber ein paar
wunderbare Bilder von Krumau. Danach wurde er kurzeitig verhaftet und starb 1918
an der Spanischen Grippe, die nur deshalb Spanische Grippe heißt, weil es den
Zeitungen anderer Länder wegen der Kriegszensur verboten war, darüber zu
berichten.
Nach diesem Skandal passierte
nicht mehr viel, außer dass das Habsburgerreich zerfiel, Krumau zur
Tschechoslowakei kam, 20 Jahre später ins Großdeutsche Reich einverleibt wurde
und nachdem dieses ebenfalls vom Erdboden verschwunden war, kamen die Russen
und mit ihnen die Kommunisten, vertrieben die deutschsprachige Bevölkerung, bis
sich Stadt und Land nach 44 Jahren Kommunismus unter die Schirmherrschaft des
Kapitalismus flüchteten, das Land sich erst noch halbierte bevor die Segnungen
des Kapitalismus über sie kamen und dieser sich artig bedankte, indem er das
Städtchen in die Liste des Weltkulturerbes aufnahm.
Die Folgen dieser Ernennung
kann man täglich besichtigen. Die Häuser sind wunderbar restauriert, die Stadt
lebt, hat Arbeit und es entsteht Wohlstand. Krumau ist ein schöner Ort.
Marlene Dietrich war eine
schöne Frau. Maximilian Schell hat den letzten, wunderbaren Film mit und über
"die Dietrich" gedreht. Der Film spielt ausschließlich in ihrer Pariser
Wohnung. Es ist ein Film ohne Bilder von ihr, denn sie untersagte alle Filmaufnahmen
mit den Worten "Ich bin in meinem Leben zu Tode fotografiert worden".
Was Marlene damit meinte, erklärt sich von selbst und man ahnt, was Krumau und
die Dietrich gemeinsam haben.
Wenn die internationalen
Heuschreckenscharen über Krumau herfallen, dann gibt es kein Entkommen. Heute
sind die Tschechen, wie während der Habsburgerzeit, die Minderheit in der Stadt,
jedenfalls im Sommer. Ein Kellner erzählt uns, dass es dann kaum möglich ist,
die schmalen Straßen zu überqueren, denn Menschen aus aller Herren Länder
drängen sich durch den Ort. Das Sprachgewirr beim Turmbau zu Babel kann nicht größer
gewesen sein. Wir hörten Französisch, Italienisch, Spanisch, Russisch,
Englisch, Ungarisch, Arabisch, Hindi, aber vor allem Chinesisch, Koreanisch und
Japanisch. Die Andenkenläden quellen über mit Devotionalien aller Art und
statistisch gesehen, findet sich alle 25 Meter ein Juwelier.
Ich wiederhole eine bekannte Klage:
die Stadt ist zur Kulisse verkommen. Es ist, wie viele der kleineren Orte auf
der Weltkulturerbeliste: Taormina, Venedig, Brügge, Dubrovnik keine Stadt der
Bürger, kein Begegnungsort der Stadtgesellschaft mehr, sondern eine
Shoppingmall ohne Dach.
Es gibt keinen Zweifel: Orte,
die auf der Weltkulturerbeliste stehen, verkaufen ihre Seele.
Auch der Mont St. Michel ist
Weltkulturerbe und es ist ein großes Glück, an einem klaren Dezembertag alleine
im Kreuzgang des Klosters zu sitzen und über die unendliche Weite des Meeres zu
schauen. Nur wenige, sich flüsternd unterhaltender Besucher, stören dann diesen
Moment großer Kontemplation und jeder Atheist könnte beginnen an seinem
Atheismus zu zweifeln. An einem Sommertag am selben Ort dagegen, wenn sich
tausende gleichzeitig durch diesen Kreuzgang schieben, zweifelt man an der
Menschheit.
Aber da ist noch etwas, ein
Gedanke, mehr Verstand als Gefühl:
Was, wenn alle diese bewunderten
Wunder der Welt, die ägyptischen Pyramiden und die chinesische Mauer, der
Eifelturm und der Pergamonaltar, die Mona Lisa und die Gutenbergbibel, die Freiheitsstatue
und die Ruinenstadt auf dem Machu Picchu, die Klöster im japanischen Kyoto und
das kambodschanische Angkor Wat, die Athener Akropolis und der Tempelberg in
Jerusalem, die steinzeitlichen Zeichnungen der weißen Frau in Namibia oder in
den Höhlen von Altamira, die blaue Moschee in Istanbul und der Kölner Dom, wenn
das alles und noch viel mehr wirklich Weltkulturerbe wäre? Vielleicht sind diese
Massen an Besuchern der erforderliche Teil eines Lernprozesses, erforderlich
damit die Menschheit versteht, dass wir nur diese eine Erde habe und dass wir Menschen,
bei allen Unterschieden und zu allen Zeiten große Leistungen erbracht haben.
Vielleicht ist das der Weg, um gegenseitigen Respekt und ein gemeinsames
Verständnis von der Welt zu erlangen. Wenn das der Fall wäre, dann hat Krumau
seine Seele vielleicht verloren, aber die Welt würde eine gewinnen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Kommentieren Sie! Positives Feedback ist natürlich gern gesehen, Hinweise auf Fehler sind wichtig und Kritik wird gern entgegengenommen, sofern sie sachlich und in angemessenem Ton vorgebracht wird.