London - High Tea als theatrum mundi

Wir sind in London und machen uns von unserem Hotel aus auf zum High Tea im Dorchester am Hyde Park. Das Dorchester ist eines dieser alt-ehrwürdigen Londoner Hotels und es war nur mit Mühe vierzehn Tage vor der Reise gelungen, dort einen Platz für 17:30 zu ergattern. Als wir  ankommen, ist es - ein Versehen unsererseits - leider erst 17 Uhr, so dass wir das Personal in Verlegenheit bringen. Auf die Frage, ob dies ein Problem sei, antworten sie wahrheitswidrig, aber mit Noblesse "Of course not!" - Pause - "Perhaps you will fresh up in the washrooms". Also müssen wir warten und haben einen großartigen Blick auf das vor uns liegende Bühnenbild. Ein schmaler langgezogener Raum, mit schweren Teppichen, vergoldeten korinthische Säulen, Blumengestecken von Opulenz, die jeder Beschreibung spottet, voll mit Menschen und schwerem Mobiliar. Die Sessel in die wir nach kurzer Wartezeit hineinfallen sind so schwer, dass sie sich praktisch nicht verschieben lassen. Soweit so luxuriös.
Wir sind wir froh, gut gekleidet zu sein, sonst würden wir noch stärker als Terroristen identifizierbar sein. Wir merken dies an der routinierten Behandlung durch den blasiert gelangweilten Kellner, bei dem wir das Gefühl nicht loswerden, dass es uns etwas herablassend als einen dieser "bloody tourist" betrachtet.
Erst wird der Champagner perfekt so serviert, dass eine kleine Fontäne am Kelchrand sprudelt. Es folgen die Sandwiches und schließlich die süßen Köstlichkeiten. Das Porzellan ist exquisit und das Besteck silbern.

Vielleicht sind wir zu erschlagen gewesen von den Eindrücken des Tages, so dass wir erst im Laufe dieser Zeremonie die Schauspieler auf dieser Bühne wahrnehmen. Zuerst fällt eine junge Frau auf, die den langen Laufsteg entlang direkt auf mich zuzusteuern scheint. Schlank wie ein Mannequin, elegant im kleinen Schwarzen, auf hochhackigen Schuhen setzt sie, wie ein Top Modell die Füße direkt voreinander. Dieses Haute-Couture Gehabe scheint hier aber niemandem aufzufallen. Das mag daran liegen, dass sich das Schauspiel ständig wiederholt, wobei die vougeähnliche Figur der Damen vortrefflich mit den perfekt liegenden, sanft schimmernden Haaren korrespondieren. Wer hier auffallen will, muss sich anstrengen.
Ab 18 Uhr beginnt der zweite Akt. Mehr und mehr entzieht sich nun der wohlgesetzte Gang der Damen dem Blick durch fussbodenlange Abendgarderobe. Schade! Dazu erscheinen nun, fast inflationär, die Herren. marathongewohnte, drahtige Männer jeden Alters, smart lächelnd, sich ihres Auftretens und ihrer Bedeutung gewiss, schreiten sie an der Seite einer dieser Vougedamen. Sie wissen um die Schönheit ihres Schmuckstücks und kennen dessen Wert. Die Herren sind sehr demokratisch gekleidet. Alle gleich. Smoking. Weisses Hemd. Schwarze Fliege.
Es wird Zeit für uns zu gehen. Wir zahlen den exorbitanten Preis für den Tee und machen uns auf zum Ausgang. Das Theater steuert währenddessen dem Höhepunkt entgegen. in der Halle stolpern wir nun über Heerscharen von Abendkleidern und Smokings. Die Unterscheidungsmerkmale der Damen sind leicht zu identifizieren, es ist der Schmuck. Bei den Herren ist für uns nicht feststellbar, was die Standesunterschiede kennzeichnet. Wir können an der Uniformität der Smokings keine Rangabzeichen ausmachen. Hierzu mangelt es uns wohl an guter Erziehung - allerdings - wir haben vergessen auf die Schuhe zu schauen.
Vor dem Theater erleben wir nun den Prolog oder den Epilog, je nach 'point of view'. Zwar fahren einige Karossen vor, auch Mittelklassefahrzeuge, aber die meisten erreichen zu Fuß das Hotel. Ob Sie mit der U-Bahn anreisen? Etwas später, bei St Pauls Cathedral, fällt uns noch ein Gentleman im Frack auf. Das erste Exemplar seiner Art, den wir je in freier Wildbahn beobachten durften. Wir möchten aber explizit darauf hinweisen, dass der größte Teil der Londoner Bevölkerung ebenso normal herumläuft wie in Berlin oder Köln. Wobei, was heisst schon normal?
Während der Karnevalssession könnte man in Köln auch meinen, dass die Deutschen nur in bunten Uniformen des 18. Jahrhunderts herumlaufen. Nur eine andere Form des Theatrum mundi.

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